Triggerwarnung: Es geht auch um die Akzeptanz des Todes.
„Diese Krise, kann eine Chance werden, dass die Menschen ihren Lebensstil, ihr Konsum -und ihr Freizeitverhalten überdenken und entdecken, dass sie vieles gar nicht brauchen. Sie können sich mit dem Tod neu auseinandersetzen und auch mit dem Miteinander. Das ist eine Chance, natürlich auch für uns selbst – ein erzwungenes längeres Retreat. Wir alle können auch im jeweiligen Bereich, in dem wir arbeiten oder tätig sind oder Menschen treffen darauf hinwirken, dass sie diese Seite der Krise sehen und sie nicht nur als eine Belastung, sondern auch als eine Chance begreifen. Das genau besagt auch das Wort Krise: Gefahr und Chance.“ Christian Meyer
Experteninterview: „Was langfristig hilft, ist die Angst vor dem Tod zu durchleben und zu transformieren.“
Herr Meyer, was ist Spiritualität für Sie?
Es gibt zwei Teile von Spiritualität. Das wird oft vergessen! Der erste Teil der Spiritualität ist die unseres Lebens auf der Erde. Wir sind alle miteinander verbunden. Unser Handeln hat Auswirkungen auf alle anderen. Wir sind alle Teil des Kosmos und habe eine Verantwortung! Dabei können wir auch eine höhere Macht im Blick haben. Dieser erste Teil der Spiritualität bezieht sich auf das Diesseits.
Der zweite Teil der Spiritualität zeichnet sich dadurch aus, dass wir eine andere, innerliche Bewusstseinsstruktur erreichen. Das bedeutet, dass wir nicht mehr alles in Bezug auf unser Ich wahrnehmen. Dann wird unser Kopf leer und still und wir haben nur noch Gedanken, die wir gebrauchen können. Das wird seit 2000 Jahren praktiziert und ich merke, dass gerade jetzt in der Corona Krise immer mehr Menschen Antworten in der Spiritualität suchen. Und Spiritualität hat tatsächlich das Potenzial, unser Leben nachhaltig zu verbessern.
Sie lehren die 7 Stufen des Loslassens. Wie können diese uns helfen, in der Corona Krise mit Ängsten umzugehen?
Wir haben jetzt die Chance, unserer Angst vor dem Tod ins Auge zu sehen. Ich leite eine Meditation an, in der sich die Menschen vorstellen, dass sie in 30 Minuten sterben müssen. Ich verwende hier das Bild, dass man von einer Schlange gebissen wurde und kein Gegenmittel zur Hand ist. In diesem Prozess werden verschiedene Gefühle durchlaufen. Erst kommen die Wut und Ohnmacht. Man will den Tod nicht wahrhaben und beschimpft sich eventuell sogar selbst, dass man so unvernünftig war. Dann kommt die Akzeptanz der Situation. Danach fühlt man tiefe Trauer und den Schmerz, dass man jetzt die Dinge nicht mehr erleben kann, die man noch vorgehabt hat. Und wenn man all diese Gefühle gefühlt hat, erreicht man eine innere Ruhe, einen tiefen Frieden und ein Einverstanden sein.
Ist diese Meditation über den eigenen Tod nicht auch etwas, dass einen mit Gefühlen überfluten kann?
Wir werden von Fantasien überflutet, nicht von Gefühlen. Unser Denken erzeugt unsere Emotionen. “Was wird dann passieren? Und was wird dann passieren?“ Für den Anfang ist es eine Notlösung, sich abzulenken, aber langfristig hilft es nur, an die Wurzel unserer Angst zu gelangen. Die Meditation findet auch in einem sicheren Rahmen und portionsweise statt. Man kann auch jederzeit aussteigen. Ich biete diese Meditation derzeit in Online-Seminaren an und es funktioniert auch dort, was ich erst nicht geglaubt hatte.
Was für gesellschaftliche und psychologische Innovationen sehen Sie in der Zukunft?
In den letzten Jahrhunderten ging es immer höher, schneller, weiter. Wir haben immer mehr Plastik ins Meer geworfen, woran viele Tiere gestorben sind. Wir haben eine Klimakatastrophe, die wir Menschen verursacht haben. Schließlich dürfen laut unserer Regierung keine Klimamaßnahmen eingeführt werden, die der Wirtschaft schaden. Das bedeutet unser Streben nach Gewinn stellen wir über uns Menschen!
Durch die Corona Krise haben wir momentan eine andere Priorität. Diese lautet: Das Leben ist mehr wert als das Geld! Trump versucht gerade, dagegen anzurennen und die Wirtschaft erneut zu priorisieren. Er verkündet nach Ostern, wie gehabt weiterzumachen, egal, was ist. Und auch unsere Politiker sagen, dass wir aufpassen müssen, dass sich die Koordinaten unserer Gesellschaft nicht verschieben. Aber wäre es nicht sinnvoll, wenn wir das Leben der Menschen und die Sicherung unserer Lebensgrundlagen über alles stellen würden?
Worin liegt jetzt unsere Chance?
Unsere Chance liegt darin, dass wir jetzt und in Zukunft daran festhalten müssen, dass Vernunft, Liebe und Miteinander wichtiger sind als Dividenden. Wir können ein Wirtschaften der Vernunft etablieren! Dann hätten wir wirklich etwas gelernt! So hätte uns die Krise auch genutzt. So unglaublich traurig die vielen Toten sind, dann wären sie nicht umsonst gestorben.
Die Gefahr besteht natürlich darin, dass die Chinesen alles aufkaufen, weil unser Aktienkurs jetzt so niedrig ist. Dass unsere Wirtschaft außer Rand und Band gerät und die Menschen ein exzessives Nachholbedürfnis in Punkto Konsum haben werden. Aber ich hoffe, dass viele Menschen jetzt zum Reflektieren kommen.
Wir können jetzt die Weichen stellen!
Jeder sollte jetzt bedenken, in welcher Zukunft er leben möchte!
Vielen Dank für das Gespräch!
(Das Interview führte Sophie Appl)
Christian Meyer ist Psychotherapeut und spiritueller Lehrer. Er arbeitet an der Verbindung von Spiritualität und Therapie und ist an der Beziehung der verschiedenen spirituellen Wege interessiert.